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"HEILIGENSCHEIN", 2011-2015, Mischtechnik: Filzstift/Acrylgrund/Tinte auf Andachtsbilder, 10,54 x 2,32m(Meter), 38-teilig
Gemeinschaftsprojekt: Adam Bota und Stephan Schwarz www.dieschwarzarbeit.com
https://youtu.be/V69aB7x2lLM
Der Glaube. Die Reproduktion.
Heiligenschein beschäftigt sich mit der gefahrbesetzten „Führer“- und
Gottgläubigkeit von Menschen – eingebunden in die Dynamik von Massen und
erzeugt dabei eine Bewegung zwischen den Ursprungsbildern und den dann
darüber gelegten skizzenhaften Portraits.
Die Arbeit offenbart die oft bedingungslose Hörigkeit einer Autorität
gegenüber, die gleichzeitig die Macht hat das eigene menschliche Denken
und Fühlen dramatisch zu verzerren. Der Arbeit werden Reproduktionen von
Verklärungsdarstellung als Malfläche und dabei auch als Hintergrund
Zugrunde gelegt, die dem Genre des Kitsches zugerechnet werden können.
Diese Darstellungen zeigen nämlich eine äußerst verblümte Realität und
scheinen sie zu verhüllen. Genauso wie die darüber gemalten Portraits
Fotografien einer Scheinidylle entstammen. Beides soll eine Art
Vollkommenheit anklingen lassen.
Stephan Schwarz findet. Adam Bota malt.
In der vorliegenden Arbeit gesellen sich gemalte und gezeichnete Figuren
von Fotografien realer Menschen zu Verklärungsdarstellungen und
verbinden diese zwei ungleichen und sich trotzdem in vielen Aspekten
tangierenden Welten.
Wie in den meisten Arbeiten von Stephan Schwarz stand auch hier am
Anfang das Finden - ein Nebenprodukt seiner Bewegung durch die Welt. Er
lieferte Adam Bota ein Fundstück als Grundlage. In diesem Fall sind es
„gefundene“ Reproduktionen (auf Flohmärkten, Altwarenhändlern, etc.) aus
dem ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die 1950er Jahre, teilweise
schon in äußerst – bewusst unverändert belassenem - abgetakeltem
Zustand. Die Malereien bzw. das Eingreifen Adam Botas, auf Vorlage von
(wiederum) gefundenen Fotografien aus den 1920er bis zu den 1950er
Jahren – die aus den Reproduktionen nun wieder Unikate machen, so wie
auch deren Alterungsprozess selbst - überdecken die Verklärungsbilder
und existieren doch gleichzeitig. Fast „scheinen“ sie über den
Untergrund.
Die Steigleiter. Der Kitsch.
Gemälde mit Darstellungen einer heiligen oder auch einer verehrten,
romantisch idealisierten Figur oder Landschaft waren im 19. Jhdt. meist
malerische Produkte. Da aber solche Bilder meist von Künstlern in
langer, mühsamer Arbeit gemalt werden mussten, blieben sie vorerst einer
zahlungskräftigen Oberschicht vorbehalten. Durch die Technik der
Bildreproduktion stand es schließlich einer breiteren Masse offen solch
wertvolle Bildnisse zu erwerben. Die erschwinglichen Kopien fanden so
auch ihren Weg in die Häuser der bürgerlichen Schicht. Mitunter
entwickelte sich ein Gefühl des Mitpartizipierens an etwas sehr
Exklusivem: „Auch ich kann die Dinge eines Fürsten besitzen und rücke
ihm damit ein Stück näher – ein Stück höher.“ Reproduktionen sind also
nichts Besonderes (mehr), weil sie (fast) jeder besitzen kann und sie
dem Original gleichen. Diese Beliebigkeit ist ein wichtiger Eckpfeiler
des sogenannten Kitsches. Er entstand vor allem als Scheinlösung eines
unlösbaren Problems in der Zeit der Romantik: das Bürgertum hatte an
Macht und Einfluss gewonnen, versuchte die Nachfolge der Tradition des
Adels mit der des Gewinnstrebens zu vereinbaren. So ist Kitsch auch ein
essentieller Bestandteil der Selbstdarstellung des Bürgertums und steht
im starken Zusammenhang mit der industriellen Revolution. Zwischen
Kitsch und dem Aufstieg der bürgerlichen Klasse in seiner
„zivilisatorischen“ Funktion besteht ein enger Zusammenhang.
Fotografie ging übrigens reproduktionstechnisch noch einen Schritt
weiter. Sie ermöglichte das unmittelbare Festhalten der Gegenwart ohne
große handwerkliche Vorkenntnisse (in ihren späteren Entwicklungen) und
anschließend das beliebige Vervielfältigen. Wenn Menschen aus der
Familie oder Freunde fotografiert werden erhöht sich das Gewöhnliche in
dem es verewigt und damit spirituell aufgeladen wird. Es entsteht eine
fast unantastbare Erinnerung an das Alltägliche.
Der Schein. Die Sehnsucht.
„Hinter“ den von den Fotografien gemalten und gezeichneten Figuren
stehen die Figuren und Gedankenmodelle ihrer Überväter. Durch
Übertragung von realen Fotos der heilen Welt in Malerei entstanden fast
mahnende Gesichter, fernab vom scheinbaren Glück. Wir können einen Blick
auf die verschiedenen Generationen erhaschen: in ihrem Wohnzimmer, auf
Festen oder Soldaten mit ihren Familien im Fronturlaub. Sowohl
Malerei/Zeichnung als auch Fotografie – beide beinhalten sie Abbild der
Sehnsüchte ihrer Besitzer. Sie sind wie Steigleitern zu einem
vermeintlichen Heilsversprechen.
Der intime Blick in eine private Situation steht einer verehrten Figur
gegenüber. Der spannungsgeladene Gegensatz der realen Welt der fehlbaren
Menschen zu den scheinbar unfehlbaren Heiligen schält sich heraus. Es
gibt in dieser Arbeit nur mehr Anrisse an die Aussage der ursprünglichen
Bilder darunter. Die mystische Wirkung der Verklärungsbilder wird
brüchig. Das Profane wird heilig. Die Realität zerfällt. Der Stillstand
der Vollendung weicht dem Unfertigen des Prozesses. Die Fotografien
können sich entblättern und verändern sich dadurch in ihrer
ursprünglichen Konstruktion.
Die Zerstörung. Das Sichtbare.
Der Eingriff der Übermalung scheint im ersten Moment einer Zerstörung
gleich, erweitert aber stattdessen den ursprünglichen Inhalt – schafft
sogar eine inhaltliche Aufladung. Erst mit Hilfe dieser teilweisen
Dekonstruktion kann es die Möglichkeit geben etwas von Grund auf Neues
entstehen zu lassen.
Wie ein Fenster zu bedrohenden Fratzen, die den Betrachter anstarren öffnet sich Heiligenschein.
Im Arbeitsprozess des Malers kamen die Menschen immer mehr zum
Vorschein. Sie „erschienen“ mit der Zeit – Strich für Strich, Zug um
Zug. Es passiert damit eine Hinführung auf den Menschen hin, weg von
seinen Ideologien. Die Arbeit soll den Menschen selbst mehr Raum geben
als ihren Führungsbildern und deren Repräsentanten. Der Mensch in seiner
Persönlichkeit soll wieder in den Vordergrund gestellt werden und nicht
seine seiner Menschlichkeit übergeordneten Ideologien und
Glaubenssätze. Ein Hinbewegen und –sehen zum individuellen menschlichen
Sein weg von der vermantschten Masse, weg von der Verklärung. Eine
Masse, die von der Nähe betrachtet plötzlich differenziert werden kann.
Die Rinnspuren der weißen Farbe auf den Bildern wirken wie eine Art
Nebel. Der Mensch ist ein Lebewesen aus vielen Bausteinen und einzelnen
Faktoren – das verdeutlicht die harte Strichsetzung des Künstlers. Vor
allem der Betrachter und seine Betrachtungsperspektive verändern ein
Bild.
Im Nähertreten des Betrachters an die Bilder wird der einzelne Mensch
nun sichtbar aber trotzdem gleichzeitig schon wieder zerlegt. Er
zerfällt. Auch das ist Teil seiner Menschlichkeit: Ein Stückwerk aus
verschiedensten Schichten und Facetten. Fast schon ungreifbar – nicht
vorherzusehen.
Man kann Menschen eben nicht zusammenfassen. Es existieren so viel mehr
Graustufen. Menschsein ist ein Zustand des UND statt des ABERS.
Zum Werdegang.
Das Werk selbst, in seiner äußeren Form, unterzog sich einer Wandlung
vom Triptychon zu einem abstrakten Flügel. Innerhalb des fortlaufenden
Arbeitsprozesses - beginnend 2011 - wuchs Heiligenschein auf schließlich
38 Einzelbilder an.
Das Sichtbarmachen eines künstlerischen Prozesses ist die Grundidee
dieses Buches. Die jeweiligen Ausarbeitungsstadien des Arbeitsprozesses
folgen der emotionalen Geschichte der Künstler im Hinblick auf die
Arbeit. Die Zwischenschritte und die stetigen Veränderungen innerhalb
der Arbeit wurden fotografisch dokumentiert. Daraus entstand
vorliegendes Buch nach der Idee und Ausführung von Stephan Schwarz. Ein
Werk ist nämlich so viel mehr als das schlussendlich Sichtbare – meist
als „fertig“ bezeichnete - Endprodukt – doch es dreht sich im Verkauf am
Kunstmarkt meist nur um das Ergebnis – das Endwerk.
Zusätzlich wurde der Arbeitsprozess außerdem filmisch begleitet und zu einem Kurzfilm montiert.